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Archive for the ‘Aktuell’ Category

Splitter: Bundeswehr und Medikamente, xkcd, renovated butter, Anhörung im Sheri Sangji-Fall, ChemDraw

Links, bemerkenswerte Dinge und tragische Fakten aus der weiten Welt des Internets:

  • Medikamentenherstellung durch die Bundeswehr: Immer wieder lernt man neues! Durch den Jahresbericht des Bundesrechnungshof (pdf) wurde bekannt, dass die Bundeswehr selbst Medikamenten und Kosmetika wie auch Sonnencreme herstellt (SPON, Focus, manager magazin). Die Praxis geht dabei auf die 1980er Jahre zurück, als es die Bundeswehr auf Grund der Bedrohungslage des Kalten Krieges als notwendig erachtete, „jederzeit eigene Medikamente herstellen zu können“ und so die Versorgung der Soldaten im Kriegsfall sicherzustellen. Viel bemerkenswerter aber ist dieser Absatz:

    Das Bundesverteidigungsministerium verweist allerdings auf die Gefahr von Arzneimittelengpässen in Deutsch-land. Vier von fünf arzneilichen Wirkstoffen kämen aus China oder Indien, fast alle der in Deutschland verbrauch-ten Antibiotikawirkstoffe würden in Ostasien produziert. Die industrielle Herstellung pharmazeutischer Produkte in Bundeswehrapotheken sei somit Teil der Risikovor-sorge der Bundeswehr, um die Soldatinnen und Soldaten mit Sanitätsmaterial zu versorgen.

    Somit scheinen wir also auch in gesundheitlicher Hinsicht abhängig von China…

  • Wissenschaft trifft Humor: Slate meint zu zu den genialischen xkcd-Comics:

    If you’re not reading the brilliant web comic xkcd, then a) what’s wrong with you? and 2) seriously, go read it. Written by Randall Munroe, it’s arguably the geekiest and most scientifically literate comic on the ’net. The simple stick figures and drawings he uses belie a fiercely intellectual comic that will poke at your brain.

    Besser kann man wohl den Nagel nicht auf den Kopf treffen.

  • Erneuerte Butter: Sollte die Butter trotz oder wegen eines Hurricans doch einmal ranzig werden, so hat „The Culture of Chemistry“ die Lösung parat: „renovated butter“!

    If you can obtain some rancid or spoiIed butter melt some of it in a small pan and pump air through it, using a bicycle pump until there is no Ionger any odor noticeable. Now mix some sweet milk or cream with the butter and pour the whole mass into a screw top jar and shake violently until the butter becomes solid. Pour off the cream and notice that the solid part which remains is the same as fresh butter. This is renovated or process butter.

    Klingt interessant und riecht bestimmt auch so.

  • Sheri Sangji-Fall vor Gericht: Vor knapp zwei Wochen hat die Voranhörung im Sheri Sangji-Fall begonnen. Es geht dabei um den tragischen Unfall der jungen Studentin in einem Chemielabor Ende des Jahres 2009, als sie mit t-Butyllithium hantierte, und ihren anschließenden Tod im Krankenhaus zwei Wochen später (Zusammenfassung und Rekonstruktion).  Auf der Anklagebank sitzt UCLA-Chemieprofessor Patrick Harran als verantwortlichem Laborleiter wegen des Verstoßes gegen Arbeitsschutzgesetze. c&en dokumentiert die bisherigen Anhörungstage (Tag 1, Tag 2, Tag 3). Chemjobber schreibt außerdem regelmäßig über alle Neuigkeiten und Entwicklungen. Uns erinnert der Fall wieder daran, dass Arbeiten im Labor immer mit einem gewissen Risiko verbunden sind und wir nie leichtfertig mit den Sicherheitsvorschriften umgehen sollten. Ihr Tod mahnt gerade verantwortliche Personen dieser Verantwortung auch gerecht zu werden, so dass anderen unerfahrenen Labormitarbeitern ein solches Schicksal erspart bleibt.
  • Revolution durch ChemDraw: Derek Lowe und Kommentatoren erinneren an die Zeiten, bevor es ChemDraw etc. gab, wie mühsam die Erstellung von chemischen Strukturformeln war und welch einer Revolution eine Software wie ChemDraw gleichkam. Insgesamt ist durch moderne Computertools jedoch der Perfektionsdrang gestiegen, aber umgekehrt ersetzt die Maschine auch das Nachdenken: Zwei Versionen sind heute schneller gedruckt als früher eine Grafik von Hand gezeichnet wurde.
    Interessant ist aber auch der Link, den Derek angibt, was Quantenchemie und Computerchemie angeht.

Walter und Walternativ – und was ein 18-Jähriger damit zu tun hat

Zugegeben, es ist hart an der Grenze der Chemie. Vielleicht ist die Grenze auch schon überschritten. Doch nachdem wir Walter und Walternative kennengelernt haben, kennt wohl jeder das Wort Quantenverschränkung, die einmal den Quantencomputer möglich machen soll. Coole Sache, das!

Viel besser aber noch ist die Geschichte, heute gefunden auf Wired: 18-Jähriger veröffentlicht Paper über Quantenverschränkung – in Phys. Rev. A (hier der Link, das PDF ist ohne Paywall bei Wired zu finden, ebenso ein Poster für alle „ADHSler mit Appetit auf Quantenmechanik“ ).

Der Artikel ist in der Reihe „World’s Most Wired“, das Wired jetzt zweiwöchentlich bedienen will. Mal schauen, was auf die Quantenverschränkung folgt. Und wie geht es meinen Lesern? Auch schon als Kind ein außergewöhnliches Hobby entwickelt wie „Schneller Brüter im Kinderzimmer“ oder „Tränengassynthese in der Garage“?

Splitter: Goldrausch im All, Neues von den Dinosauriern

Wieder ist etwas zu viel Zeit vergangen, der nächste „Chemie und die Zukunft“-Artikel kommt bestimmt, hier zunächst aber zwei Themen aus den letzten Tagen:

  • Bergbau im All: Überall wurde darüber berichtet (SPON, heise, NatureNews), dass eine eher unbekannte Firma mit prominenten Unterstützern neben der Herstellung von Raketentreibstoffen den Abbau von Platinmetallen im All betreiben will. Eine interessante Idee, hört sich aber sehr nach Science-Fiction an und die Kosten sollen exorbitant sein. Ein Zitat bei NatureNews macht aber stutzig:

    Planetary Resources calculates that a single 500-meter asteroid can contain more platinum group metals than have been mined throughout all of human history.

    Das mag richtig sein, der hohe Anteil solcher Metalle in Asteroiden ist verbürgt, doch gibt es einen Markt für so viel solcher Edelmetalle und wie entwickeln sich dann die Preise?

  • Dinosaurier ziehen Kreise! Auch hier im Blog gab es eine kurze Notiz zu der „Dinosaurier im All“-Pressemeldung von JACS. Jetzt zieht das Paper dahinter noch weitere Kreise, da es sich offensichtlich um ein extremes Selbstplagiat handelt. Die chemische Blogosphäre ist voll davon: ChemistryBlog, In the Pipeline, ChemBark, CuriousWavefunction. Und hier handelt es sich nicht um einen abgehobenen deutschen Ex-Minister und seine Doktorarbeit, sondern um das diskussionswerte Paper eines verdienten Professors! Auch dieser Fall darf nicht einfach durchgehen, ChemBark fordert hier zurecht: Das Paper muss zurückgezogen werden, dem Autor zumindest zeitweise das Publizieren in JACS untersagt werden. War es vorher schon „Bad Science“ (was die ACS-Pressemeldung betrifft), so wird es jetzt nur immer schlimmer.
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Splitter: „Plastic Planet“, Mi 20.15 3sat

An dieser Stelle ein Programmhinweis, der ganz gut in die Reihe „Chemie und die Zukunft“ passt (und an der Stelle wird es dann auch nochmal zum Thema werden):

Mittwoch 18.04.12  20.15    3sat   Plastic Planet

Werner Bootes preisgekrönter Dokumentarfilm „Plastic Planet“ verändert das Leben der Zuseher nachhaltig. Was er zeigt, ist erschreckend: In den Weltmeeren ist heute sechsmal mehr Plastikmüll zu finden als Plankton. Kunststoffe können bis zu 500 Jahre in Böden und Gewässern überdauern und mit einigen Zusatzstoffen das menschliche Hormonsystem schädigen. Plastik ist praktisch überall – sogar in unserem Blut, so die Erkenntnisse aus dem Film „Plastic Planet“: vom Babyschnuller bis zur Trockenhaube, von der Quietschente bis hin zum Auto. Plastik ist überall: Die Menge an Kunststoffen, die wir seit Beginn des Plastikzeitalters produziert haben, reicht aus, um unseren gesamten Erdball sechsmal in Plastikfolie einzupacken. (Text von 3sat)

Weitere Infos: 3sat-Hompage

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Splitter: Dinosaurier auf anderen Planeten, Nature must die!, Explosiv bei oralem Verzehr

  • Dinosaurier helfen immer! Auf dem ChemistryBlog gibt es eine herrliche Beschreibung für ein Beispiel, was man braucht, um für die Presse interessant zu sein, in diesem Fall die völlig sinnfreie Erwähnung von Dinosauriern auf fremden Planeten. Dabei ist die ursprüngliche Studie gar nicht mal so uninteressant, auch wenn der Titel sperrig klingt: Evidence for the Likely Origin of Homochirality in Amino Acids, Sugars, and Nucleosides on Prebiotic Earth. Bad, BAD science!
  • Konkurrenz für Nature und Science: In the Pipeline schreibt über die Pläne eine neue Top-Zeitschrift zu launchen, die – man höre und staune – den Premiumtiteln Nature und Science Konkurrent machen soll, noch dazu kostenlos im Netz. Keine schlecht Idee, die Verärgerung über die hohen Gebühren für den Zugriff auf Zeitschriften ist im Moment immens (und immer wieder geht es gegen Elsevier).
  • Explosiv bei oralem Verzehr! An die neuen GHS-Label wird sich der Autor nie gewöhnen, die orangen Zeichen waren doch gut genug. Und dumm nur, dass die Neuen seltsame Assoziationen (ChemistryBlog) hervorrufen.
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Chemie und die Zukunft #2: Steaks oder Sprit?

Seit Jahrtausenden betreibt die Menschheit Ackerbau. Um die Feldfrüchte selbst zu essen (oder in die Vorratskammer zu tragen), an Nutzvieh zu verfüttern oder – neuerdings zu Treibstoff zu verarbeiten.

Biosprit ist in Mode, auch wenn weltweit wohl nur 2 % der Anbaufläche für Energiepflanzen genutzt werden. Regenwälder müssen großen Ölpalmenplantagen weichen. Im Fischer-Tropsch-Verfahren werden dann Biokraftstoffe (sogennante „Biomass-to-Liquid“-Kraftstoffe (BtL) hergestellt. Auch Bioethanol (aus Mais oder Weizen) gehört zu den Biokraftstoffen, das durch die Beimengung zu E10 einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden ist.

Futterpflanzen beanspruchen dagegen einen nicht geringen Anteil der Anbaufläche. Für 1 kg Rindfleisch sind 8 kg Getreide nötig, die so nicht mehr direkt als Nahrungsmittel zur Vefügung stehen. Mit der weltweiten Zunahme des Fleischkonsums, gerade in den aufstrebenden Entwicklungsländern, ist auch eine Zunahme der Futterpflanzenanbaufläche verbunden.

Somit liegt also die Hauptkonkurrenz im Moment eher zwischen Nahrungs- und Futtermittel, doch die „Energiewende“ soll auch einen deutlichen Ausbau der Energiepflanzen beinhalten. Wird also irgendwann unser Fleischhunger durch unseren Energiehunger ausgebremst? Und steigen die Nahrungmittelpreise insgesamt durch diese Konkurrenz?

Dass es soweit nicht kommen darf, hat Hartmut Michel, Direktor des MPI für Biophysik und Nobelpreisträger für Chemie 1988, in einem Editorial (Open Access) der Angewandten Chemie (Int. Ed.) mit dem programmatischen Titel „The Nonsense of Biofuels“ deutlich gemacht. Er argumentiert darin, dass die Effizienz der Photosynthese, zwar einer der genialsten Naturprozesse überhaupt, insgesamt lediglich 4,5 % der Sonnenenergie beträgt, was diverse Ursachen hat: die Absorption nur von sichtbarem, nicht-grünem Licht, Photoschaden an den Proteinen, die fehlerhafte Insertion von Sauerstoff u.a.

Zusätzlich muss bedacht werden, dass Energie aufgewendet werden muss für Düngemittel, Pestizide und die Umwandlung in Treibstoff. Somit ist Biosprit keineswegs CO2-neutral. Es wird sogar bezweifelt, ob am Ende die Energiebilanz tatsächlich positiv ist. Sein Fazit:

Taken together, the production of biofuels constitutes an extremly inefficient landuse. […] We should not grow plants for biofuel production.

Seine Alternative ist elektrische Mobilität, auch weil immerhin 80 % des Akkuinhalts in Bewegung umgesetzt werden, aber nur 20 % bei Nutzung von Benzin, was die Bilanz des Treibstoffs weiter verschlechtert. Doch das ist ein anderes Thema.

Dass die Deutschen aus Angst um ihren Motor, resultierend aus der verwirrenden Informationspolitik der Mineralölkonzerne abgelehnt haben, war zwar eine nicht-ökologisch begründete Ablehnung von Biosprit, aber in der Sache absolut richtig.

Zum Aufhänger zurück: Es bleibt die ganze Anbaufläche für Nahrungs- und Futtermittel. Wobei, muss man für Fleisch wirklich Tiere halten…

… weiter geht es in der nächsten Folge „Chemie und die Zukunft“ mit „Fleisch ohne Ende?“ über künstliches, in der Petrischale gezüchtetes Fleisch.

[Das Editorial wird auch auf The Curious Wavefunction diskutiert.]

Aus gegebenem Anlass: 4-Methylimidazol

Noch ein kleiner Nachtrag zu „Ist Cola giftig?“.

4-Methylimidazol

Auch bei dem Eintrag in diesem Blog und genauso bei allen Presseberichten fehlte die Angabe einer Strukturformel. Okay, der Laie hat davon genauso wenig wie von dem Namen. 4-Methylimidazol ist zwar ein schön systematischer Name, wenn man das Hantzsch-Widmann-System beherrscht (Aber warum heißt das eigentlich Imid?), doch Hilfe ist nur einen Klick entfernt, bei Wikipedia. Und jetzt auch hier auf der rechten Seite. Der Eintrag in der englischen Wikipedia ist besonders aktuell, die aktuelle Entwicklung wird hier bereits wiedergegeben. Auch ist der Seite der Grenzwertzu entnehmen, der in der EU für Zuckerkulör gilt: 250 mg/kg.

Doch in diesem Blog soll es um mehr gehen als nur Wikipedia-Wissen. In einem recht aktuellen Paper[1] ist ein Reaktionsschema für die Entstehung von 4-MEI aus Methylglyoxal beschrieben, das nach Meinung der Autoren ein Pyrolyseprodukt der Glucose ist und ein wichtiger Precursor für 4-MEI. Nebenbei analysieren die Autoren gängige, auf dem Markt erhältliche Cola-Sorten („bought from a local market“ in CA) mit Flüssigchromatographie und Massenspektrometrie (die üblichen Verdächtigen bei solchen Analysen), wobei sie keine Marken nennen (für die Wissenschaft verzichtbar). Die ermittelte Konzentration an 4-MEI ist bei allen fünf Proben zwischen 0,30 und 0,36 µg/mL angesiedelt und der Gehalt liegt somit zwischen 177,30 und 212,76 µg pro Flasche (pro 20 US fl.oz. = 591 mL). Die Autoren bemerken auch, dass diese Menge gering ist im Vergleich zu den bei Tierversuchen sich als schädlich erweisenden Dosen:

Therefore, the amounts ingested from these beverages may not be significant.

Allerdings wollen sie in ihrer Studie keine Aussage über die Krebsgefahr machen.

[1] J.-K. Moon, T. Shibamoto, J. Agric. Food Chem. 2011, 59, 615.

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Ist Cola giftig?

Gestern kam die Meldung auf SPIEGEL ONLINE: Krebsgesetz zwingt Cola-Konzerne zu Rezeptwechsel. Und das klingt wieder dramatischer als es ist.

Die Geschichte hinter der Meldung ist schnell erklärt: Der Staat Kalifornien hat 4-Methylimidazol (4-MEI) auf eine Liste mit krebserregenden Substanzen gesetzt, das als Nebenprodukt im in Cola enthaltenen Zuckerkulör (E 150d, engl. caramel color IV) in geringen Mengen vorkommt. Um eine entsprechende Kennzeichnung („krebserregend“) zu vermeiden, ändern die Konzerne das „Rezept“, es wird ab sofort Zuckerkulör mit weniger 4-Methylimidazol verwendet.

Jetzt die chemische Seite: Je nach der bei der Herstellung verwendeten Zusätzen werden vier Sorten Zuckerkulör unterschieden, basisches, sulfit-basisches, ammoniakalisches und Ammonium-Sulfit-Zuckerkulör, klassifiziert als Zusatzstoffe E 150a-d. Die braune Farbe resultiert dabei aus der sogenannten Maillard-Reaktion, eine Reaktion, die genauso für das Bräunen von Brot, Kuchen oder Braten verantwortlich ist und vor ein paar Jahren durch die Bildung von Acrylamid z.B. bei der Herstellung von Pommes frites bereits in den Schlagzeilen war.

Chemisch gesehen ist das Erhitzen von Lebensmitteln eine ziemliche Schweinerei. Hunderte Inhaltsstoffe reagieren bei der Hitze miteinander oder mit dem Luftsauerstoff, sie zersetzen sich oder schmelzen. Das Ergebnis ist eine weitere Vielzahl an Verbindungen. Es gilt als unbestreitbar, dass die Kunst des Kochens die Entwicklung des immensen Gehirnvolumens des Menschen durch die besser verwertbaren Nährstoffen erst möglich gemacht hat, wir uns aber damit durch die vielen auftretenden, teils giftigen Reaktionsprodukte (wie 4-MEI) unsere eigenen Grube graben. Und selbst rohe Produkte können durch oxidativen Stress zu Schäden am Erbgut führen. Anders ausgedrückt: Der Tod durch von der Ernährung ausgelöstem Krebs kann nur durch den Verzicht auf Nahrungskonsum absolut ausgeschlossen werden, was zum Hungertod nach wenigen Tagen oder Wochen führt und somit das langfristige Problem abschließend löst.

Zurück zur Meldung: Muss man beim Konsum von Cola somit Angst um seine Gesundheit haben? E150d gilt zwar aus den genannten Gründen schon lange als bedenklich – das enthaltene 4-MEI löst bei Nagetieren bei hoher Dosierung nachweislich Krämpfe aus und führt sogar zu Lungenkrebs -, von häufigem Verzehr wird abgeraten. Aber auch in Europa, wo sich nichts ändert, gibt es Grenzwerte für 4-MEI, deren Einhaltung überwacht wird. Und Cola ist somit auch nicht giftiger (vom Zucker einmal abgesehen) als ein knuspriger Braten oder ein gutes Steak, vor allem wenn es stark durchgebraten ist.

Hier noch der Link auf die gleiche Meldung beim Discovery Channel.

[11.03.12, 23:00 Artikel redigiert]

In diesem Blog: Aus gegebenem Anlass – 4-Methylimidazol.

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Splitter: H5N1, Neutrinos, Journal of Crap und chemische Schönheit

Eine aufregende und anstrengende Woche liegt hinter dem Autor von „ChemieUnser“ und auch die Wissenschaftsgemeinde ist aktiv. Hier ein Überblick über die wichtigsten Themen und Erkenntnisse der letzten Zeit (aus der Warte des Autors):

  • Das Thema, das in der Wissenschaftsgemeinde gerade am heißesten diskutiert wird, ist das „Mutant Flu„-Thema. Die volle Veröffentlichung der Arbeiten an H5N1-Vogelgrippe-Viren, die durch Mutation per Tröpfcheninfektion zwischen Frettchen übertragbar gemacht worden ist, ist sowohl Science als auch Nature von US-Bundesbehörden untersagt worden, worüber eine große Diskussion entbrannt ist. Es geht um äußerst heiße Eisen, die öffentliche Gesundheit einerseits, freie Weitergabe von wissenschaftlicher Information andererseits, Missbrauchspotential von Forschung und Science-Fiction sowieso und schließlich das Überleben der Menschheit. Als Einstieg sei hier Science empfohlen, wobei die eben auch „biased“ sind. Und natürlich wird das auch in der aktuellen Ausgabe von Nature (hier, hier) kontrovers diskutiert.
  • Legendary Fail: Die schneller-als-Licht-Neutrinos sind wohl doch ein Messfehler, ein ziemlich krasser noch dazu. Nicht zuletzt wurde schon Einsteins spezielle Relativitätstheorie in Frage gestellt, ein Meilenstein der Physik des 20. Jahrhunderts und Grundlage für das Funktionieren von GPS, jetzt ist ein trivialer, schlecht sitzender Stecker für all die Aufregung verantwortlich. Links: ScienceInsider, SZ (von Patrick Illinger). Nachtrag: Link zu „Himmelslichter“, der die richtigen ruhigen Worte findet bei all der Häme.
  • Der Comment in Nature zu „Toxic Sugar“ (hier im Blog, hier bei Nature) hat heftigen Widerspruch ausgelöst, in der dieswöchigen Nature-Ausgabe gibt es allein vier Wortmeldungen [#1], [#2],[#3],[#4]. Darin wird die Sache als „Sensationshascherei“ verurteilt, die Arbeitsplätze in der Zuckerindustrie vernichtet (natürlich ein Politiker!), als vielzu einseitig betrachtet dargestellt und der Verzehr von Früchten als unbedenklich bezeichnet (was die Autoren auch nie bestritten haben). Andere verweisen auf weitere „komplexe Faktoren“ und auch explizit auf stärkehaltige Lebensmittel wie Kartoffeln und Weizen. Insgesamt ist eher der Überkonsum verantwortlich als einseitig der Zucker.
  • Männer sterben doch nicht aus, das Y-Chromosom ist stabiler als angenommen, wie neueste Forschungen (Nature) zeigen. Zwar befinden sich nicht viele Gene auf dem verkümmerten Männer-Chromosom, doch in den letzten Jahrmillionen ist nur ein Gen verloren gegangen. Und dieses Thema ist mal wieder ein gutes Beispiel, auf was unsere viel gelobte Presse anspringt: Sexismus (SZ online, Spiegel online). Das gibt einfach die besten Schlagzeilen.
  • Nicht wirklich Schlagzeile, aber was sich jeder Forscher wünscht: Ein Journal für negative Ergebnisse! All der Mist, der im Labor mal wieder nur das Glas verunreinigt hat, ist hier gut aufgehoben. Zwar lernt man am besten aus eigenen Fehlern, doch auch fremde Fehler helfen. Nur die Wissenschaft will davon nichts wissen und stellt alles positiv dar. Nun gibt es ein solches Journal wirklich,allerdings nur für Biomedizin. Eine gute Idee! Mehr Infos hier.
  • Gerade in Nature Chemistry erschienen: ein Beitrag über ein paar Aspekte, die ein Molekül für den Chemiker schön aussehen lassen (Link zum Blog der Autorin, Artikel in Nature Chemistry). Und da stoßen die Molekülformeln immer wieder in den Bereich der modernen Kunst vor. Ein oft unterschätzter Aspekt!

Wir leben in äußerst spannenden Zeiten. Auf bald!

Die dunkle Seite der Chemie – Drogen und das Internet

Gleich zwei populär-wissenschaftliche Zeitschriften titeln dieser Tage mit diesem Thema, was den Lesern von „ChemieUnser“ nicht vorenthalten werden soll. So macht einerseits die „Technology Review“ mit „Synthetische Drogen – Rausch aus der Retorte“ auf, andererseits das „Discover Magazine“ mit „Chemists in the Shadows“. Im ersteren Artikel liegt der Fokus auf neu entwickelten Designer-Drogen, im zweiteren geht es mehr um die Hersteller hinter diesen Drogen und auch neuen Steroiden.

Immer noch machen die klassischen Drogen wie Cannabis, Kokain und die Gruppe der Amphetamine (wie „Crystal Meth“) den größten Teil der Drogenstatistik aus, doch mit dem einfachen Vertriebsweg Internet gibt es ein neues Schlachtfeld zwischen Produzenten und Strafverfolgungsbehörden –  sogenannte „Legal Highs“, was „eine Sammelbezeichnung für psychoaktive Substanzen [ist], die nicht im Rahmen der Drogengesetzgebung überwacht werden“[1], schlicht und ergreifend, weil sie noch nicht bekannt sind  und nicht unter z.B. das deutsche Betäubungsmittelgesetz fallen. Der Vertrieb erfolgt als „Badesalz“, „Dünger“ oder „Forschungschemikalien“ über eigene, „legale“ Online-Shops. Und die Vielfalt nimmt immer mehr zu, wird eine Substanz entdeckt und nachweisbar, erfolgt sofort die Umstellung des Angebots auf neue, unbekannte Wirkstoffe. Dies lässt sich an Statistiken ablesen: So wurden beim Europäischen Drogenüberwachungszentrum EMCDDA in den Jahren 2009 24, 2010 41 und 2011 schon 50 neue Substanzen ermittelt und unter Überwachung gestellt, wobei die Hauptmenge Cathinone (Varianten des Wirkstoffs aus dem Kathstrauch) und synthetische Cannabinoide sind.

Die psychischen und physischen Folgen des Konsums dieser Drogen sind vollkommen unbekannt. Zusätzlich machen durch mangelhafte Aufreiningung vorhandene Nebenprodukte den Konsum zum Lotteriespiel mit der eigenen Gesundheit, was ein großes Problem des Schwarzmarkts insgesamt ist. So ist „Crystal Meth“ häufig mit Iodwasserstoff verunreinigt, was bei den Junkies zum berüchtigten „Meth-Mund“ führt.

Im Kampf gegen die Drogen werden zunehmend auch neue, offensive Methoden angewendet, ganz vorn dabei: die Abwasseranalyse. Moderne Analysemethoden machen selbst geringste Substanzkonzentration im ppb-Bereich detektierbar und lassen somit auf den Drogenverbrauch ganzer Städte oder Stadtteile schließen.

Aber das Internet ist nicht nur Vertriebsweg, sondern auch eine Schatztruhe an Informationen. Die durch das Internet entstandene „Informationsgesellschaft“ macht auch solches Wissen jederzeit abrufbar und weltweit verfügbar und die Drogenszene verlagert sich dadurch von der leicht zu überwachenden Bahnhofsstraße direkt in die Wohnzimmer der bürgerlichen Gesellschaft, wenn man die „richtigen“ Seiten ansurft. Das beginnt bereits bei Wikipedia, das selbst bereits auf „Erowid“ verlinkt, eine ziemlich krude Mischung von Drogenerfahrungen und -rezepten. Allerdings kann die Verbreitung solcher Informationen nicht unterbunden werden und Forscher wie der 86-jährige Alexander Shulgin, bekannt als Erfinder von Ecstasy und immer noch aktiv auf der Suche nach dem Unterschied zwischen Droge und Hirnkiller, tun das übrige dazu und stellen ihre Forschungen frei ins Internet. Aber auch die legale Fachliteratur aus anerkannten Journals wird gelesen und als Quelle „missbraucht“, wie manche Forscher ungläubig feststellen mussten.

Während die intelligenten Köpfe des Drogengeschäfts, die „Designer“ im Westen zu finden sind, so stammt der größte Teil der verbreiteten Drogen aus China und Südostasien. Dort lässt sich leicht Laborpersonal anheuern, die professionell und im großen Stil die gewünschten Substanzen synthetisieren. Dabei sind diese Drogen so potent, dass wenige Milligramm zum Flash ausreichen, die ohne Probleme zu schmuggeln sind oder einfach mit der Post gesendet werden.

Bleibt die Frage, ob der Kampf gegen den Rausch überhaupt zu gewinnen ist. Diskutiert wird ein Verbot ganzer Substanzklassen, nicht mehr einzelner Stoffe, wobei die Befürchtung besteht, dass dies erst recht zu einer Eskalation führt durch noch ausgefallenere, noch unsichere Wirkstoffe. Die Menschen werden immer zu Rauschmitteln greifen, sei es auch nur, weil sie verboten sind. Eine Legalisierung und staatliche Kontrolle einiger weniger, weitgehend sicherer Substanzen könnte die bessere Strategie sein.

[1] B. Hughes, A. Gallegos, R.Sedefov, „Reaktion auf neue psychoaktive Substanzen„, EMCDDA, 2011.

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