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Archive for Februar 2012

Pseudo aus Meth – mal der umgekehrte Weg?!

Pseudo aus Meth – war das nicht immer andersherum? Durchaus, die Standardsynthese – spätestens seit „Breaking Bad“ allen bekannt – läuft so. Aber zwei Autoren im obskuren „Journal of Apocryphal Chemistry“ beschreiben jetzt den entgegengesetzten Weg (Link[PDF], gefunden über In the Pipeline), einfach aus der leichteren Verfügbarkeit von Methamphetamin auf der Straße im Gegensatz zum legalen Pseudoephedrin, dem „klassischen“ Meth-Precursor und daher streng reglementiert. Und wenn die Allergie mal wieder Pseudo braucht und die Apotheken haben geschlossen, kauft man sich halt Meth auf der Straße und kramt seine Chemiekenntnise wieder heraus.

Die Autoren notieren:

A quick search of several neighborhoods of the United States revealed that while pseudephedrine is difficult to obtain, N-methylmethamphetamine can be procured at almost any time on short notice and in quantities sufficient for synthesis of useful amounts of the desired material. Moreover, according to government statistics, N-methylmethamphetamine is becoming an increasingly attractive starting material for pseudephedrine, as the availability of N-methylmethamphetamine has remained high while prices have dropped and purity has increased. We present here a convenient series of transformations using reagents which can be found in most well stocked organic chemistry laboratories.

Das nenne ich mal gelungene Satire! Jeder Satz sitzt, die Anspielungen sind genial. Und wer lesen will, wie man wissenschaftlich den „Straßeneinkauf“ beschreibt, sollte das Dokument unbedingt runterladen. Natürlich ist dieses Journal nicht offiziell, was der Zusatz „apocryphal“ aber schon andeutet. Die Aufmachung ist professionell und klassisch und sieht einem echten Journal zum Verwechseln ähnlich, moderner Textverarbeitung à la LibreOffice sei Dank. Den Autor hat es wohl in den Fingern gejuckt, das Anfang des Jahres gefundenen RSC-LibreOffice-Template auszuprobieren (vgl. Titel des Dokuments!) Literaturverweise stehen am Ende, die auch existieren (Nur der Verweis auf J. Chem. Soc. ist etwas fehlerhaft). Die DOI-Nummer führt in nichts, was man mit etwas Erfahrung aber schon an dem wirren Code sehen kann. Aber der Autor muss sich mit den wissenschaftlichen Gepflogenheiten sehr gut auskennen. Und verboten ist es auch nicht, aus etwas Verbotenem etwas Legales herzustellen!

Warum heißt Deuterium Deuterium?

Heutzutage ist das ganze Periodensystem gefüllt, alle Elemente haben dank IUPAC feste Namen und wenn mal wieder ein neues Element produziert wird (vorzugsweise von der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt), dann ist der Name von wenig Bedeutung, da diese Elemente Halbswertszeiten jenseits von gut und böse haben.

Früher allerdings gab es durchaus Konfussion (z.B. die Verwendung von Glucinium statt Beryllium wegen dem süßen Geschmack von Berylliumsalzen) und manche Namen hielten sich lang in der Literatur, um schließlich in der Versenkung zu verschwinden.

Bis jetzt ging es um Elemente. Aber warum hat Deuterium, 2H, einen eigenen Namen, damit auch ein eigenes Symbol, D, und woher kommt die Bezeichnung?

Bei „The Sceptical Chymist„, ein Nature-Blog, ist dieser Tage ein ziemlich langer Eintrag über den Entdecker und Namensgeber Harold Urey und den beschwerlichen Weg der Benennung (es wird auch auf einen Essay in der aktuellen Ausgabe von Nature Chemistry des gleichen Autors verlinkt, der aber wenig zusätzliches bringt). Der Artikel ist wirklich ausgezeichnet, also unbedingt selbst lesen, hier aber mal ein paar Stichworte.

Harold Urey hatte „Wasserstoff-2“ entdeckt und um die die Bezeichung zu vereinfachen und auch weil sich „Wasserstoff-2“ durch die doppelt so große Masse in den chemischen Eigenschaften erheblich von „Wasserstoff-1“ unterscheidet (es wurde sogar gefragt: Ist es noch Isotop oder Element?), wurde vorgeschlagen einen eigenen Namen zu kreieren. So wurden von Urey und anderen Wissenschaftlern allerlei Namen diskutiert und vorgeschlagen wie Pycnydrogen, Barydrogen u.a. Sein ehemaliger Doktorvater brachte dann schließlich etwas mit „deuteros“ auf, was einfach eine Nummerierung ins Spiel bringt, eine Einmischung, die Urey gar nicht mal so toll fand (bei seinem eigenen Schüler Stanley Miller (Miller-Urey-Experiment) verhielt er sich dann auf Grund dieser Erfahrung ganz anders), sich am Ende aber doch für Deuterium entschied (und gleichzeitig für Tritium („Wasserstoff-3“), das aber erst später entdeckt wurde).

Zu Urey selbst sollte noch gesagt werden: Nobelpreisträger 1934 für eben die Entdeckung von Deuterium, beteiligt auch am Manhattan-Projekt von Oppenheimer, der nach dem Krieg nicht begeistert war von der Verwendung des Deuteriums in der Wasserstoffbombe. Und er sprach sich vehement für Julius und Ethel Rosenberg aus, Hauptangeklagte in einem berühmten Spionagefall Anfang der 50er Jahre (FBI: The Atom Spy Case), die allerdings trotzdem in Sing Sing gehängt wurden.

Also eine spannende Persönlichkeit, beteiligt an so vielen wichtigen geschichtlichen Ereignissen und Entwicklungen. Und der Mann, der dem Deuterium seinen Namen gab.

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Splitter: H5N1, Neutrinos, Journal of Crap und chemische Schönheit

Eine aufregende und anstrengende Woche liegt hinter dem Autor von „ChemieUnser“ und auch die Wissenschaftsgemeinde ist aktiv. Hier ein Überblick über die wichtigsten Themen und Erkenntnisse der letzten Zeit (aus der Warte des Autors):

  • Das Thema, das in der Wissenschaftsgemeinde gerade am heißesten diskutiert wird, ist das „Mutant Flu„-Thema. Die volle Veröffentlichung der Arbeiten an H5N1-Vogelgrippe-Viren, die durch Mutation per Tröpfcheninfektion zwischen Frettchen übertragbar gemacht worden ist, ist sowohl Science als auch Nature von US-Bundesbehörden untersagt worden, worüber eine große Diskussion entbrannt ist. Es geht um äußerst heiße Eisen, die öffentliche Gesundheit einerseits, freie Weitergabe von wissenschaftlicher Information andererseits, Missbrauchspotential von Forschung und Science-Fiction sowieso und schließlich das Überleben der Menschheit. Als Einstieg sei hier Science empfohlen, wobei die eben auch „biased“ sind. Und natürlich wird das auch in der aktuellen Ausgabe von Nature (hier, hier) kontrovers diskutiert.
  • Legendary Fail: Die schneller-als-Licht-Neutrinos sind wohl doch ein Messfehler, ein ziemlich krasser noch dazu. Nicht zuletzt wurde schon Einsteins spezielle Relativitätstheorie in Frage gestellt, ein Meilenstein der Physik des 20. Jahrhunderts und Grundlage für das Funktionieren von GPS, jetzt ist ein trivialer, schlecht sitzender Stecker für all die Aufregung verantwortlich. Links: ScienceInsider, SZ (von Patrick Illinger). Nachtrag: Link zu „Himmelslichter“, der die richtigen ruhigen Worte findet bei all der Häme.
  • Der Comment in Nature zu „Toxic Sugar“ (hier im Blog, hier bei Nature) hat heftigen Widerspruch ausgelöst, in der dieswöchigen Nature-Ausgabe gibt es allein vier Wortmeldungen [#1], [#2],[#3],[#4]. Darin wird die Sache als „Sensationshascherei“ verurteilt, die Arbeitsplätze in der Zuckerindustrie vernichtet (natürlich ein Politiker!), als vielzu einseitig betrachtet dargestellt und der Verzehr von Früchten als unbedenklich bezeichnet (was die Autoren auch nie bestritten haben). Andere verweisen auf weitere „komplexe Faktoren“ und auch explizit auf stärkehaltige Lebensmittel wie Kartoffeln und Weizen. Insgesamt ist eher der Überkonsum verantwortlich als einseitig der Zucker.
  • Männer sterben doch nicht aus, das Y-Chromosom ist stabiler als angenommen, wie neueste Forschungen (Nature) zeigen. Zwar befinden sich nicht viele Gene auf dem verkümmerten Männer-Chromosom, doch in den letzten Jahrmillionen ist nur ein Gen verloren gegangen. Und dieses Thema ist mal wieder ein gutes Beispiel, auf was unsere viel gelobte Presse anspringt: Sexismus (SZ online, Spiegel online). Das gibt einfach die besten Schlagzeilen.
  • Nicht wirklich Schlagzeile, aber was sich jeder Forscher wünscht: Ein Journal für negative Ergebnisse! All der Mist, der im Labor mal wieder nur das Glas verunreinigt hat, ist hier gut aufgehoben. Zwar lernt man am besten aus eigenen Fehlern, doch auch fremde Fehler helfen. Nur die Wissenschaft will davon nichts wissen und stellt alles positiv dar. Nun gibt es ein solches Journal wirklich,allerdings nur für Biomedizin. Eine gute Idee! Mehr Infos hier.
  • Gerade in Nature Chemistry erschienen: ein Beitrag über ein paar Aspekte, die ein Molekül für den Chemiker schön aussehen lassen (Link zum Blog der Autorin, Artikel in Nature Chemistry). Und da stoßen die Molekülformeln immer wieder in den Bereich der modernen Kunst vor. Ein oft unterschätzter Aspekt!

Wir leben in äußerst spannenden Zeiten. Auf bald!

Die dunkle Seite der Chemie – Drogen und das Internet

Gleich zwei populär-wissenschaftliche Zeitschriften titeln dieser Tage mit diesem Thema, was den Lesern von „ChemieUnser“ nicht vorenthalten werden soll. So macht einerseits die „Technology Review“ mit „Synthetische Drogen – Rausch aus der Retorte“ auf, andererseits das „Discover Magazine“ mit „Chemists in the Shadows“. Im ersteren Artikel liegt der Fokus auf neu entwickelten Designer-Drogen, im zweiteren geht es mehr um die Hersteller hinter diesen Drogen und auch neuen Steroiden.

Immer noch machen die klassischen Drogen wie Cannabis, Kokain und die Gruppe der Amphetamine (wie „Crystal Meth“) den größten Teil der Drogenstatistik aus, doch mit dem einfachen Vertriebsweg Internet gibt es ein neues Schlachtfeld zwischen Produzenten und Strafverfolgungsbehörden –  sogenannte „Legal Highs“, was „eine Sammelbezeichnung für psychoaktive Substanzen [ist], die nicht im Rahmen der Drogengesetzgebung überwacht werden“[1], schlicht und ergreifend, weil sie noch nicht bekannt sind  und nicht unter z.B. das deutsche Betäubungsmittelgesetz fallen. Der Vertrieb erfolgt als „Badesalz“, „Dünger“ oder „Forschungschemikalien“ über eigene, „legale“ Online-Shops. Und die Vielfalt nimmt immer mehr zu, wird eine Substanz entdeckt und nachweisbar, erfolgt sofort die Umstellung des Angebots auf neue, unbekannte Wirkstoffe. Dies lässt sich an Statistiken ablesen: So wurden beim Europäischen Drogenüberwachungszentrum EMCDDA in den Jahren 2009 24, 2010 41 und 2011 schon 50 neue Substanzen ermittelt und unter Überwachung gestellt, wobei die Hauptmenge Cathinone (Varianten des Wirkstoffs aus dem Kathstrauch) und synthetische Cannabinoide sind.

Die psychischen und physischen Folgen des Konsums dieser Drogen sind vollkommen unbekannt. Zusätzlich machen durch mangelhafte Aufreiningung vorhandene Nebenprodukte den Konsum zum Lotteriespiel mit der eigenen Gesundheit, was ein großes Problem des Schwarzmarkts insgesamt ist. So ist „Crystal Meth“ häufig mit Iodwasserstoff verunreinigt, was bei den Junkies zum berüchtigten „Meth-Mund“ führt.

Im Kampf gegen die Drogen werden zunehmend auch neue, offensive Methoden angewendet, ganz vorn dabei: die Abwasseranalyse. Moderne Analysemethoden machen selbst geringste Substanzkonzentration im ppb-Bereich detektierbar und lassen somit auf den Drogenverbrauch ganzer Städte oder Stadtteile schließen.

Aber das Internet ist nicht nur Vertriebsweg, sondern auch eine Schatztruhe an Informationen. Die durch das Internet entstandene „Informationsgesellschaft“ macht auch solches Wissen jederzeit abrufbar und weltweit verfügbar und die Drogenszene verlagert sich dadurch von der leicht zu überwachenden Bahnhofsstraße direkt in die Wohnzimmer der bürgerlichen Gesellschaft, wenn man die „richtigen“ Seiten ansurft. Das beginnt bereits bei Wikipedia, das selbst bereits auf „Erowid“ verlinkt, eine ziemlich krude Mischung von Drogenerfahrungen und -rezepten. Allerdings kann die Verbreitung solcher Informationen nicht unterbunden werden und Forscher wie der 86-jährige Alexander Shulgin, bekannt als Erfinder von Ecstasy und immer noch aktiv auf der Suche nach dem Unterschied zwischen Droge und Hirnkiller, tun das übrige dazu und stellen ihre Forschungen frei ins Internet. Aber auch die legale Fachliteratur aus anerkannten Journals wird gelesen und als Quelle „missbraucht“, wie manche Forscher ungläubig feststellen mussten.

Während die intelligenten Köpfe des Drogengeschäfts, die „Designer“ im Westen zu finden sind, so stammt der größte Teil der verbreiteten Drogen aus China und Südostasien. Dort lässt sich leicht Laborpersonal anheuern, die professionell und im großen Stil die gewünschten Substanzen synthetisieren. Dabei sind diese Drogen so potent, dass wenige Milligramm zum Flash ausreichen, die ohne Probleme zu schmuggeln sind oder einfach mit der Post gesendet werden.

Bleibt die Frage, ob der Kampf gegen den Rausch überhaupt zu gewinnen ist. Diskutiert wird ein Verbot ganzer Substanzklassen, nicht mehr einzelner Stoffe, wobei die Befürchtung besteht, dass dies erst recht zu einer Eskalation führt durch noch ausgefallenere, noch unsichere Wirkstoffe. Die Menschen werden immer zu Rauschmitteln greifen, sei es auch nur, weil sie verboten sind. Eine Legalisierung und staatliche Kontrolle einiger weniger, weitgehend sicherer Substanzen könnte die bessere Strategie sein.

[1] B. Hughes, A. Gallegos, R.Sedefov, „Reaktion auf neue psychoaktive Substanzen„, EMCDDA, 2011.

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Zucker, Süßstoffe und ihre Wahrnehmung!

Es hat etwas gedauert, jetzt ist „ChemieUnser“ zurück, mit einem Ausflug in unsere Sinneswelt!

Dazu schreibt Nature so schön[1]:

Our sensory systems are responsible for generating an internal representation of the outside world, including its chemical (taste and olfaction) and physical (mechanical, sound, vision and temperature) features.

Hier soll es um den „Geschmack“ gehen! Wissenschaftlich anerkannt ist, dass wir Menschen in der Lage sind, zwischen fünf grundsätzlichen Geschmacksrichtungen zu unterscheiden: süß, sauer, salzig, bitter und umami (oft auch als herzhaft oder würzig beschrieben), wobei es auch Hinweise auf weitere gibt. Wir wollen uns hier auf den „süßen“ Geschmack beschränken.

Obwohl es eine Vielzahl an süßen Stoffen gibt, angefangen bei den gängigen C6-Zuckern über manche Aminosäuren (Bausteine der Proteine) zu kompletten Proteinen, sekundären Pflanzenmetaboliten und auch synthetischen Chemikalien wie z.B. Sucralose, Saccharin und Cyclamat, ist für deren Wahrnehmung lediglich ein einziger Rezeptor, bestehend aus zwei Untereinheiten verantwortlich (T1R2-T1R3).[2] An dieser Stelle muss man auch festhalten, dass chemische Reize wie beim Schmecken und Riechen keinesfalls auf physikalisch-chemischen Eigenschaften beruhen, wie Nature bemerkt[1]:

The sweetness of sugar and the pleasure it evokes are so familiar to us
that they almost seem to be physical properties of sucrose rather than
a representation of neuronal firing in the brain.

Im Gegensatz zu Licht oder Schall, die wir mit den Augen bzw. Ohren, aber auch mit Messgeräten nachweisen können, ist Geschmack und Geruch lediglich eine Zuschreibung unseres Gehirns. Tatsächlich kann  man extern auf Süßkraft testen, allerdings nur durch Züchtung von menschlichen (u.a.) Geschmacksrezeptoren im Reagenzglas.[2] Bei Katzen (von der Hauskatze bis zum Tiger) ist durch eine Mutation eine der Untereinheiten defekt, was zur Folge hat, dass sie nicht auf süße Nahrung ansprechen.[1]

Die entscheidende Frage aber bleibt: Wie kann ein Rezeptor mit so vielen unterschiedlichen Stoffen reagieren? Und warum besitzen verschiedene Stoffe so stark unterschiedliche Süßkraft? Beispielsweise ist Sucralose, bekannt auch als E955,  500-mal süßer als Zucker. Die erste Frage kann dadurch beantwortet werden, dass unterschiedliche Moleküle an verschiedenen Stellen des Rezeptors binden. Die zweite Frage ist komplex und noch nicht endgültig beantwortet: Die Bindungsstärke ist definitiv ein Hauptkriterium, aber es gibt auch Hemmungs- bzw. Synergieeffekte durch Bindung mehrerer Moleküle.[2]

Das Thema „Süßstoffe“ verdient nochmals gesonderte Aufmerksamkeit. Diese Stoffe, gekennzeichnet durch süßen Geschmack und keinen oder im Vergleich zur Süßkraft geringen Nährwert, werden heutzutage immer häufiger als Zusatzstoffe unserem Essen beigefügt. Nach Meinung der Verbraucherzentrale ist allerdings für keinen der als E950 bis E968 zugelassenen Stoffe die Unbedenklichkeit schlussendlich bewiesen und vom ständigen Verzehr wird abgeraten.[3] Außerdem muss beachtet werden, dass solche Stoffe auch andere Geschmacks- (z.B. Bitter)rezeptoren ansprechen können, was die Süßstoffe im Vergleich zu Zucker anders schmecken lässt.

Ein weiterer Punkt in der Forschung sind „Super-Geschmacksverstärker“.[4] Solche Stoffe sollen – ohne selbst z.B. als Süßstoff zu wirken – den süßen Geschmack vorhandener Inhaltsstoffe/Zusatzstoffe verstärken oder negative Komponenten wie Bittergeschmack ausblenden. Dieser Gedanke klingt verlockend: Gleicher Geschmack, weniger Kalorien. Wir essen, wie es uns schmeckt, allerdings gesünder. Anstatt unsere Ernähungsgewohnheiten zu ändern, zielen wir auf die Geschmackswahrnehmung ab. Ein weiteres Beispiel ist die weitergehende Nutzbarmachung der Sojapflanze durch Ausblenden ihres Nachgeschmacks. Ein Milliardenmarkt könnte entstehen für Firmen wie Senomyx und Redpoint Bio! Allerdings muss der Zusatz weiterer Stoffe zum Essen wegen möglicher gesundheitlicher Gefahren kritisch gesehen werden und auch die generelle, dann fortschreitende Entfremdung des Geschmacks vom Inhalt des Essens, was die Funktion der Sinne zur Wahrnehmung unserer Welt weiter untergraben, ja ad absurdum führen würde. Nicht zu vergessen die Wirkung des Geschmacks auf diverse vegetative Funktionen wie Sättigung und Insulinproduktion (Inkretin-Effekt), was teils noch nicht mal verstanden ist. Die Industrialsierung der Nahrungsmittelproduktion ist nicht immer gut, nur weil sie möglich ist.

[1] J. Chandrashekar et al.Nature, 2006, 444, 288.

[2] M. Behrens et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2011, 50, 2220.

[3] Anonymus, Was bedeuten die E-Nummern?, Verbraucherzentrale Hamburg e.V., 66. Aufl. 2011.

[4] M. Wenner, Spektrum der Wissenschaft, Oktober 2008, Seite 58.

Als Nachtrag hier noch der Link zu einem kurzen Artikel des Discover Magazines aus dem Jahr 2005 zum Thema: The Chemistry of . . . Artificial Sweeteners.

Zucker tötet! – Die Wahrheit über Zucker

Die heutige Ausgabe von Nature (mit einem Impact Factor von 36,101 (2010) vor Science (31,36) das angesehenste naturwissenschaftliche Journal weltweit) bringt einen Artikel mit dem Titel „The toxic truth about sugar/Die giftige Wahrheit über Zucker“ (R.H. Lustig, L.A. Schmidt, C.D. Brindis Nature, 2012, 482, 27).

Fructose

Darin argumentieren die Autoren gegen „künstlich zugesetzten Zucker“ („added sugars„), womit alle  Süßmittel gemeint sind, die Fructose (vulgo Fruchtzucker) enthalten. Modern geworden als süßschmeckender Zusatzstoff in unseren „kostengünstigen, stark industriell verarbeiteten Lebensmitteln“, sei es als Glucosesirup (besonders HFCS = high-fructose corn syrup), wie es in Amerika üblich ist, oder als Saccharose (auch Sucrose), dem normal geläufigen „Zucker“, hergestellt aus Zuckerrüben oder Zuckerrohr, in Europa überwiegend genutzt, der aus Glucose und Fructose besteht.

Saccharose

Diese zugesetzten „leeren Kalorien“ („empty calories„) sind in Wahrheit höchst gefährlich, auf eine Stufe zu stellen mit Alkohol und Tabak, die beide staatlich reguliert sind, was die Autoren in Form von Steuern nach dänischem Modell oder Zugangsbeschränkungen  auch für Fructose-Süßstoffe fordern. Denn Fructose ist geradezu toxisch, wie die Autoren feststellen, verantwortlich für alle Krankheitsbilder, die unter dem metabolischem Syndrom zusammengefasst werden: Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Herzinfarkten, nicht-alkoholische Fettleber. Krankheiten, die über Arbeitsausfall und ihre Behandlungskosten allein die Vereinigten Staaten jährlich über $200 Milliarden kosten.

Zusätzlich wirkt Zucker ähnlich wie eine Droge auf das Belohnungssystem im Gehirn, was zu vermehrtem Konsum führt. Und wie bei Drogen gilt auch:

A little is not a problem, but a lot kills – slowly.

Damit sollen nicht alle Süßigkeiten verteufelt werden, aber man sollte sich Gedanken über deren dauerhafte Einnahme und Wirkung auf den Körper machen.

After all, sugar ist natural. Sugar is nutrient. Sugar is pleasure. So too is alcohol, but in both cases, too much of a good thing is toxic.

Und wir als Verbraucher, als Bürger, aber auch die staatlichen Stellen sind aufgefordert, sich der Industrie in den Weg zu stellen, um weitere ‚vermeidbare Todesfälle‘ zu verhindern.

Ultimately, food producers and distributors must reduce the amount of sugar added to foods. But sugar is cheap, sugar tastes good and sugar sells, so companies have little incentive to change.

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META Neue Ideen!

Dieser Blog hat ein Problem! Die Wikipedia ist inzwischen so umfassend und umfangreich, dass kaum ein Thema nicht schon erschöpfend behandelt wird, noch dazu sehr fachsprachlich. Häufige Links auf Wikipedia sind die Folge. Sich auf einzelne Details zu konzentrieren und in die Tiefe zu gehen (über Wikipedia hinaus) ist nur manchmal die Alternative, auch wegen dafür notwendiger Grundlagen, die nur in sehr lange Artikel münden würden.

Hier eine Kurzfassung zu schreiben ist vielleicht nur für Lesefaule interessant, daher soll sich der Blog verstärkt auf aktuelle Forschung oder Ereignisse mit Links zu weiterführenden Fachartikeln (wie es bereits der „Vitamin D“-Artikel vorgemacht hat), Chemie des Alltags und Einblicken in nach Meinung des Autors vernachlässigte Themen konzentrieren.

Und die Welt ist so voller Chemie, es wird genug Themen geben. Also hinaus ins Reich der Atome und Moleküle!

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